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Descartes – Der Weg des methodischen Zweifels in der ersten Meditation

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Descartes setzt sich zum Ziel, der Wissenschaft festen Untergrund, einen unbezweifelbaren Ausgangspunkt zu verschaffen, auf dem dann die Wissenschaften aufgebaut werden können.

Um diesen festen Untergrund zu schaffen, nimmt er an, dass alle nicht völlig gewissen Dinge oder offensichtlich falschen Dinge als falsch angesehen werden: „…bei dem nicht ganz Gewissen und Unzweifelhaften ebenso sorgsam seine Zustimmung zurückhalten wie bei offenbar Falschem,…“ (Med. I, 2)

Auch wird festgestellt, dass die Sinne anfällig für Täuschungen sind und somit ihre Wahrnehmungen ebenfalls zu bezweifeln sind (vgl. Med. I, 3). Bis hierhin besteht also noch eine Analogie zu meiner Definition des Zweifels.

Anhand eines Beispiels, dem Traum, führt Descartes vor, dass der Zustand des Wachens und der des Träumens nicht sicher voneinander unterschieden werden kann, da die Eindrücke, die im Traum wahrgenommen werden, durchaus eine Intensität erreichen, die der des Wachzustandes gleichkommt (vgl. Med. I, 5). Die Trennung der Realität, d.h. in Träumen (nicht real) und Wachen (real) ist unklar. Der Grund, warum diese Trennung vollzogen wird, geht nicht aus dem Text hervor. Zwar wird vom Bewusstsein als eigentliches Merkmal des Wachzustandes gesprochen, anscheinend wird aber auch dem Träumenden ein Bewusstsein, oder wenigstens eine Art Bewusstsein, ein Scheinbewusstsein vielleicht, zugestanden. „Jetzt aber schaue ich doch sicher mit wachen Augen auf dieses Papier, dies Haupt, das ich hin und her bewege, schläft doch nicht, mit Vorbedacht und Bewusstsein strecke ich meine Hand aus und fühle sie. So deutlich geschieht mir dies doch nicht im Schlaf.“ (Med. I, 5)

Hieraus ergibt sich ein Problem, nämlich: „…so muss man in der Tat doch zugeben, das im Schlafe Gesehene seien gleichsam Bilder, die nur nach dem Muster wahrer Dinge sich abmalen konnten, dass also wenigstens dies Allgemeine: Augen, Haupt, Hände und überhaupt der ganze Körper nicht bloß eingebildet ist, sondern wirklich existiert.“ (Med. I, 6)

Demnach ist an dieser Stelle von Descartes festgestellt worden, dass sich der Traum seine Bilder mit den Farben des Wachzustandes, der “Realität“, malt. Wie ist diese Schlussfolgerung möglich, wenn kurz zuvor noch gesagt wurde, dass Traum und Wachen nicht zu unterscheiden sind? Mithin wäre auch nicht zu unterscheiden, was davon nun „Realität“ sei: Der Wachzustand könnte sich ebenso auch umgekehrt zum Traum verhalten, dass er sich also aus den Farben des Traumes seine Bilder zeichnet, somit wäre der Traum „wahr“ bzw. Realität, hingegen der Wachzustand nicht real, unwahr. Der Wachzustand würde sich durch den Traum konstituieren und nicht wie Descartes meint umgekehrt, der Traum durch den Wachzustand. Warum er das Eine, aber nicht das Andere in Erwägung zieht, scheint unklar. Das Problem wird nun durch sein Beispiel verdeutlicht: „Sind doch auch die Maler, selbst wenn sie Sirenen und Satyre in den fremdartigsten Gestalten zu bilden versuchen, nicht imstande, ihnen in jeder Hinsicht neue Eigenschaften zuzuteilen, sondern sie mischen nur die Glieder von verschiedenen lebenden Wesen durcheinander.“ (Med. I, 6)

Das Problem ist nun offensichtlich: Die Annahme, dass die Maler Fantasiefiguren aus realen, also im Wachzustand wahrgenommenen Wesen bzw. aus deren Teilen zusammensetzen, ist nur die eine Seite der Medaille, es wäre schließlich auch möglich, das die Maler die im Traum erlebten Wesen (Satyre, Sirenen, Drachen, Engel usw.) zu realen (Menschen, Tiere etc.) zusammensetzen. Da der Traum und Wachzustand wie von Descartes behauptet nicht unterscheidbar sind. können sich somit Bilder von Menschen, die normalerweise als real und nicht als Phantasiefiguren gelten, in diesem Falle die Stellung der Satyre und Sirenen, sprich der Phantasiefiguren einnehmen. Das bedeutet, dass die Menschen (Phantasie) sich nun aus den Traumfiguren (Realität) zusammensetzten.

Entschärft wird dieses Problem erst im letzten Abschnitt des sechsten Kapitels der ersten Meditation. Es wird gesagt: „…auch wenn sogar dies Allgemeine: Augen, Haupt, Hände und dergleichen nur eingebildet sein könnte, [muss man] doch notwendig gestehen, dass wenigstens gewisse andere, noch einfachere und allgemeinere Dinge wahr sind, mit denen als den wahren Farben alle jenen wahren oder falschen Bilder von Dingen in unserem Bewusstsein gemalt sind.“ (Med. I, 6)

Mir scheint dieser Satz ein Widerspruch zu den vorherigen Behauptungen zu sein: Wenn die Farben, mit denen Traumbilder (bei Descartes „falsche Bilder“) und Bilder des Wachzustandes (bei Descartes „wahre Bilder“) gemalt sind, wahr sind, müssten doch die Bilder ebenfalls wahr sein. Traum- und Wachzustand können „niemals durch sichere Kennzeichen unterschieden werden…“ (vgl. Med. I, 5). Wie kann also von dem Einen behauptet werden es sei „wahr“, von dem Anderen hingegen es sei „falsch“? Was sind „wahre“ Dinge, „wahre“ Bilder? Wird das Bild, das geträumt wird, das Erlebnis und Ereignis im Schlaf nicht ebenso lebendig erfahren, wie die so genannten „wahren“ Dinge, Ereignisse etc. im Wachen? Ja, auch der Traum ist „wahr“, denn ich träume ihn wirklich. Dass Descartes die Realität in den Wachzustand verlegt und den Traum als bloße Täuschung, eine Fata Morgana der Realität darstellt, wird der Sache kaum gerecht. Sofern Träumen und Wachen nicht als zwei verschiedene Zustände erkannt werden können, kann auch kein Urteil darüber getroffen werden, in welchem Zustand mir die „wahren“ Dinge begegnen und in welchem nur die Abbilder der „wahren“ Dinge.
Die Realität könnte genauso gut der Traum des Traumes sein, so wie es im Bereich des Möglichen läge, dass der Traum der Traum der Realität wäre. Unpassend ist die Trennung Descartes’ der beiden Seinszustände in wahre und falsche. Vielmehr müssen beide Zustände, der Wachzustand als auch der Traumzustand als wahr anerkannt werden: Der Traum als Wachen des Unterbewusstseins und Schlafen des Bewusstseins, das Wachen als Schlafen des Unterbewusstseins und Wachen des Bewusstseins; die Erinnerung im Traum an den Wachzustand (das wachende Bewusstsein) bzw. im Wachen an den Traumzustand (das wachende Unterbewusstsein) ist die Brücke die beide verbindet, die eine Ganzheit des Menschen herstellt. Die Synthese aus Unterbewusstsein und Bewusstsein ist das Sein, das Sein des Menschen.

Die angesprochene Problematik setzt sich mit jedem Beispiel, das Descartes in der ersten Meditation anführt, fort. Die allgemeinen Dinge, von denen Descartes im Folgenden spricht (Zeit, Quantität, Ort usw.), sind die, welche „wahre“ Bilder und „falsche“ gemein haben. Diese allgemeinen Dinge sind also die wahren Farben mit denen alles, Wahres wie auch Falsches, gemalt wird. Mit „falschen“ Bildern sind die Traumbilder gemeint, ein Kriterium für diese Falschheit fehlt jedoch. Es stellt sich die Frage, was Descartes mit falschen Bildern meint. Er hat festgestellt, dass die Farben, aus denen diese Bilder gemalt sind, wahr sind. Somit sind die Farben das erste Wissen, das erste Gewusste, das was allen Bildern zugrunde liegt. An dieser Stelle des Textes ist jedoch nicht eindeutig beschrieben, was mit „Bild“ gemeint ist: Es kann sich dabei um das Abbild des Bildes handeln (eine Fantasiefigur wäre in diesem Fall eine Zusammensetzung mehrerer Abbilder, z.B. Pferd + Nashorn = Einhorn), das was das Bild abbildet, das Motiv. Falsch kann das Abbild nur dahingehend sein, dass es ein Objekt der Wahrnehmung oder Vorstellung verfremdet darstellt. Malt ein Künstler ein Pferd mit drei Beinen, wäre dies ein falsches Abbild eines Pferdes (vorausgesetzt Pferde haben vier Beine). Ich denke, es ist das Abbild, welches Descartes meint, denn ein Bild kann nicht wahr oder falsch sein, es kann lediglich Wahres oder Falsches abbilden. Die allgemeinen Farben, die sich weder aus dem Wachen noch aus dem Traum wegdenken lassen, sind also Zeit, Quantität, Ort usw. Das Bild ist das Zusammenspiel dieser allgemeinen Dinge, aus diesem Spiel entsteht das Bild, das Sein als Ganzes. Das Bild bzw. das Sein ist nicht ohne diese Farben bzw. Eigenschaften (Quantität usw.) denkbar. Umgekehrt ergibt jedes Aufeinandertreffen, jedes Zusammenspiel, jedes Nebeneinander und Gleichzeitigsein allgemeiner Farben bzw. Dinge (Quantität, Zeit, Ort usw.) ein Bild, auch wenn es nichts abbildet. Hieraus schließt nun Descartes, dass Wissenschaften wie Arithmetik, Geometrie und dergleichen, „etwas von zweifelloser Gewissheit enthalten“ (Med. I, 8), während Wissenschaften wie Medizin, Astronomie, Physik und ähnliche immer bezweifelbar sind. Descartes begründet diese Behauptung damit, dass Arithmetik usw. allgemeine und einfache Gegenstände behandeln, die in der wahrnehmbaren Wirklichkeit nicht vorhanden sind, bzw. unabhängig von dem sind, was Descartes bisher bezweifelt hat.

Eben hier liegt ein Problem, mit dem die ganze Methode Descartes steht oder fällt.
Dass 2+3=5 ergibt, ist nicht die Gewissheit, die Descartes sucht. Im Grunde sucht Descartes auch keine Gewissheit, sondern das erste Wissen, ein erstes Gewusstes, auf dem er dann die Wissenschaften aufbauen kann.

Es ist nicht gewiss, ob dort zwei Birnen liegen, gewiss ist allein, dass ich aus einer und einer anderen Birne zwei Birnen zusammengezählt habe. Was wäre wenn ich doppelt sähe? Dann läge zwar kein mathematischer Fehler vor, aber die Mathematik hätte mich trotzdem nicht vorangebracht. Gewissheit muss entstehen (siehe Kapitel IIIc), muss aus einem Zweifel, aus etwas Ungewissem emporwachsen. Das 2+3=5 ergibt, ist nun aber noch nie bezweifelt worden, denn es kann nicht bezweifelt werden, weil es eben keine Wahrnehmung ist, sondern eine Vorstellung. Keine eigentliche Vorstellung, denn eine Vorstellung wäre eine abstrahierte Wahrnehmung (z.B. Wahrnehmung 1: ein Fisch, Wahrnehmung 2: Wasser, ich kann nun beide vom eigentlichen Erlebnis meiner Wahrnehmung abstrahieren, mir wird also durch die Synthese der einzelnen Wahrnehmungen, eine zusammengesetzte abstrahierte Wahrnehmung, d.h. eine Vorstellung ermöglicht, in diesem Falle die Vorstellung eines Fisches im Wasser, allerdings habe ich vorausgesetzt, dass der Fisch ohne Wasser und das Wasser ohne Fisch wahrgenommen wurde, ansonsten wäre die abstrakte Vorstellung schon als Wahrnehmung erlebbar gewesen). Die Mathematik ist im Gegensatz dazu ein System, ein System das, wie Descartes bemerkt, sich nicht darum schert, ob es den darin behandelten Inhalt auch tatsächlich gibt. Das ist die Misere: Descartes predigt von Gewissheit, wenn er die Gleichung 2+3=5 betrachtet, doch das System hat der Mensch sich selbst ausgedacht. Er hat die Mittel, die Kriterien dafür selbst erschaffen (diese konstruktivistische Auffassung der Mathematik stelle ich Descartes` Vorstellung von Mathematik entgegen). es muss also innerhalb des Systems wahr sein, denn es wurde so festgelegt. Wenn ich sage, alle Uhren sind Esel, und ich hinzufüge, dass ich diese Behauptung ganz und gar von erlebbaren Wahrnehmungen trennen möchte, ich es nur als Werkzeug, als Mittel für irgendetwas anderes brauche, ist es unbestreitbar, dass alle Uhren Esel sind. Aber ist das dann Gewissheit? Wohl kaum. Die Mathematik, Geometrie usw. lässt keinen Zweifel zu, somit kann sie auch keine Gewissheit zulassen, bzw. nur eine Art von Gewissheit, nämlich die, die einem Selbstbetrug gleichkommt, habe ich doch vorher festgesetzt, dass aus diesem und jenem das folgt. Aus diesem Grund ist die Mathematik auch eine analytische Wissenschaft und keine synthetische. 7+5=12 ist ein analytisches Urteil. Die Mathematik besteht aus den Ziffern, welche sich nach bestimmten Regeln zu Zahlen zusammensetzen (10; 11; 12 usw.). In der 7 ist die 12 enthalten, so wie die 12 in der 5, in der 3 oder in der 22 enthalten ist. Das ganze System der Mathematik wird in ihren Einzelteilen immer mitgedacht. Da jede Zahl einen Nachfolger und einen Vorgänger hat, wird bei jeder bestimmten Zahl eine unendliche Reihe Vorgänger und eine unendliche Reihe Nachfolger mitgedacht, d. h. in jeder bestimmten Zahl ist jede beliebige Zahl enthalten. Kenne ich eine kenne ich sie alle. Natürlich bedeutet das nicht, dass mir auch diese unendliche Anzahl von Nachfolgern und Vorgängern gegenwärtig sein muss. Gewissheit darf keinen analytischen Charakter haben. Es ist also ungültig aus Prämissen eine Konklusion zu folgern, die vorher bereits festgelegt war, und das ganze dann Gewissheit zu nennen. Vielmehr muss Gewissheit synthetisch sein, eine Synthese aus Glauben und Zweifel (siehe Kapitel lIIc).


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